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Investoren zerstören das historische St. Pauli:
Gründerzeit-Denkmal durch Rammarbeiten zerstört
und ohne Not abgerissen! Anwohner-Initiative fordert Baustopp

Hamburg, den 19.02.2012
Schon seit Tagen erschütterten heftige Rammarbeiten die Bernhard-Nocht-Straße. Anwohner waren bereits in Sorge, weil sie Risse in den benachbarten Altbauten und abgesackte Gehwege bemerkten. Die Investoren Köhler und von Bargen jedoch ignorierten die Warnzeichen und ließen die Bauarbeiten weiterlaufen, für den massiven Bau von Tiefgaragen und Neubauten inmitten der umliegenden Altbauten. Am Freitagmorgen geschah es: Die Giebelwand des denkmalgeschützten Gebäudes Bernhard-Nocht-Straße 85-87 brach zusammen, offenbar weil die Investoren ihre Bauwerkssicherungspflicht vernachlässigt hatten. Später brachen sie ohne Not den Rest des Gebäudes ab.  Die Anwohner-Initiative "SOS St.Pauli" fordert daher sofortigen Baustopp, um weitere Schäden in der Umgebung zu verhindern und die Verantwortlichkeiten zu klären.

Bernhard Nocht Str. 85 /87 nach dem Einsturz, 17.02.2012 Foto: Heinz Mann (c)


Hamburg hat nicht mehr viele historische Häuser, und in St. Pauli ist gerade eines der Schönsten leichtfertig zerstört worden. Das gründerzeitliche Etagenwohnhaus Bernhard-Nocht-Straße 85-87 stand unter Denkmalschutz. Im Kern noch älter, wurde es 1885 komplett umgebaut und aufgestockt und bekam seine zierliche und reichgeschmückte Fassade. Freunde und Bekannte wohnten in den letzten Jahren dort, noch hing die Werbung für's  Atelier Zippel in den Fenstern, und das Sailor's Inn bot den tätowierten Männern aus der Nachbarschaft günstiges Bier in kuschelig-verqualmter Atmosphäre.

Bernhard Nocht Straße 85 / 87 im Jahr 2009, Quelle: NoBNQ, Foto: Dorfmüller

Das Gebäude hätte noch lange dort stehen können,  aber es ist seit gestern unwiederbringlich kaputt. Und das war kein Schicksal, sondern es lag vollständig in der Verantwortung der Investoren Köhler und von Bargen: Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Bauherren den Einsturz der Außenwand nicht vorsätzlich herbeigeführt haben, was sich zu diesem Zeitpunkt nicht ausschließen läßt, so war das Gebäude offensichtlich nicht ausreichend gesichert. Juristisch gesprochen wäre das eine Vernachlässigung der Bauwerkssicherungspflicht
Die deutlich sichtbaren Warnzeichen wurden ignoriert - die Gehwege neben der Baugrube  waren Tage zuvor abgesackt, der Altbau soll sich bereits um 20 cm abgesenkt haben.

Bernhard Nocht Straße 85 / 87 am Vormittag des 18. Februar, nach dem illegalen Abriß durch Köhler & von Bargen , Quelle: SOS-St.Pauli, Foto: Schäfer

Aber als ob das nicht genug sei: Nach dem Einsturz der Seitenwand am Freitagmorgen wurde das denkmalgeschützte Haus nicht abgesichert, sondern mit einem eilig herbeigerufenen Bagger bis Samstagmorgen komplett beseitigt - ohne Notwendigkeit, denn der Unfallort war längst mit Zaun und Polizei weiträumig abgesperrt, und möglicherweise sogar illegal und ohne Abrissgenehmigung. Für die Investoren lohnt sich der schnelle Abriss: Es wäre teuer geworden, das beschädigte Restgebäude wieder statisch zu sichern, und nun ist praktischerweise ein kompletter Neubau möglich.  

Die hier zutage tretende Inkompetenz der Bauherrn konnte sich bisher einer vorbehaltlosen Unterstützung aus der Politik sicher sein. Großzügig wurden Köhler & von Bargen Befreiungen vom Bebauungsplan eingeräumt, was die Bebauungsdichte, die Höhe der Gebäude und die Bauabstände betrifft. Ihre massive Stadt der Tiefgaragen musste ausgerechnet in nächster Nähe von fragilen Gebäuden aus dem 19ten Jahrhundert aus dem Boden gestampft werden.

Ein Bild, das Andreas Gerhold auf die facebook Seite der Piratenpartei gepostet hat, bringt die traurige Stimmung auf den Punkt: Im Hintergrund der Schutthaufen des Hauses, davor einige wenige gerettete Teile der Fassade, arrangiert wie wertvolle Ruinenstücke. Doch auch wenn das Bild an eine antike Tragödie erinnert - dieses Desaster ist nicht das Ergebnis eines unvermeidbaren Unfalls, sondern trauriger Beweis für die Inkompetenz von Investoren, die ohne Skrupel mit massiver Nachverdichtung den historischen Bestand auf St. Pauli zerstören.

Vollendete Tatsachen: Bernhard Nocht Straße 85 / 87 nach dem Abriß, 18.02.2012 nachmittags, Quelle: facebook/piratenpartei-hamburg, Foto: Gerhold

Zu spät: Baustellenstillegung durchs Denkmalschutzamt zwecks Beweissicherung, 20.02.2012, nachmittags, Foto: Schäfer

 

Presselinks:

Hamburger Abendblatt: Illegaler Altbau-Abriss? Behörde prüft rechtliche Schritte: "Der Schuttberg des Hauses muss erst einmal liegen bleiben - zur möglichen Beweissicherung. Behörde verdächtigt Investor des Quartiers."

Hamburger Abendblatt, Kommentar: Ein Papiertiger zeigt Zähne: "Es wird wegweisend sein zu beobachten, wie nun mit dem Investor verfahren wird, der den Abriss des Denkmals auf St. Pauli zu verantworten hat. Es bedarf eines klaren Signals, um zu verdeutlichen, dass niemand damit durchkommt, wenn einfach Fakten geschaffen werden - ob nun wissentlich oder versehentlich."

Mopo: Einsturz-Haus in St. Pauli Jetzt wird es eng für den Investor: "Der ungeklärte Einsturz des denkmalgeschützten Altbaus in der Bernhard-Nocht-Straße (St. Pauli) wirft neue Fragen auf: Warum ließ der Investor das Gebäude eigenmächtig abreißen?"

Die Welt: Abriss dürfte ein Nachspiel haben; "Der nach dem Teileinsturz durchgeführte Abriss des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes an der Bernhard-Nocht-Straße (St. Pauli) wird vermutlich ein rechtliches Nachspiel haben. Das Denkmalschutzamt prüft rechtliche Schritte, denn der Komplettabriss hätte nicht stattfinden dürfen. Freitagmorgen war eine Seitenwand eingestürzt. "Nach dem Einsturz der Seitenwand hat das Denkmalschutzamt am Freitag einem Abbruch der überhängenden Gebäudeteile zur Sicherung zugestimmt, damit keine weiteren Bauteile beschädigt werden", heißt es in einer Stellungnahme der Behörde. Es hätten dann trotzdem weit über dieses Maß hinausgehende weitere Abbrucharbeiten stattgefunden."

Und die BILD wünscht sich Jugendstil-Randale: Führt dieser Bagger-Amok zu Kiez-Randale?:"Am Nachmittag begann dann plötzlich der Teil-Abriss des Jugendstilgebäudes – Angst vor endgültigem Einsturz. Aber: Der Bagger riss mehr vom Gebäude weg als genehmigt war. Stefan Nowicki (34) von der Kulturbehörde kritisiert: „Wir hatten nur einem Abbruch der überhängenden Gebäudeteile zugestimmt. Es haben weit über dieses Maß hinausgehende, weitere Abbrucharbeiten stattgefunden.“ BAGGER-AMOK!"


Till Brieglieb, Stadt der Tiefgaragen, Süddeutsche Zeitung, 25.04.2009